Mittwoch, 4. Oktober 2023

Mendoza

Weiter Richtung Süden. Die Ruta 40 ist ziemlich langweilig, immer geradeaus, immer gleiche Wüste mit Gestrüpp und natürlich Gegenwind... Bevor ich auf eine kleinere Strasse durch die Berge abbiege zelte ich nochmal an einem unspektakulären Platz aber mit einem Sonnenuntergangs-Szenario das mich eine Ewigkeit in Bann zieht, großes Kino!



Der Platz ist relativ nahe an der Strasse, es ist ziemlich laut. Wenn ich wild zelte schlafe ich ungern mit Ohropax, also wird das eine etwas unruhige Nacht. Dafür lädt der Himmel am nächsten Morgen wieder seine volle Farbpalette und das Frühstück ist keinesfalls langweilig.





Ein Restaurant an der Strasse ist die letzte Gelegenheit zum Wasser tanken für die nächsten 135km. Und WiFi gibt es auch, also schnell noch meine Position an Hannes geben. Mit 8 Litern Wasser beladen radle ich los. Es geht ein Flusstal hoch und der Wind pustet von hinten. 



Mittagspause im Windschatten.




Hinter der Passhöhe geht es wieder herunter in ein schroffes Flusstal. 


Unten am Rio San Juan angekommen empfängt mich eine Wind-Wand wie ich sie selten erlebt habe. Die Strasse überquert den Fluss und ich muss über die Brücke schieben. Es beutelt mich total von der Seite, das Fahrrad drückt sich auf mich und wirft mich um. Verzweifelt suche ich Schutz unter der Brücke und hoffe das ich hier mein Zelt aufbauen kann. Ich habe keine Chance, das Zelt droht wegzufliegen. Schnell packe ich alles wieder ein bevor etwas kaputt geht. Ich schiebe das Rad zurück an die Strasse und versuche ein Stück weiter zu gehen. Der Wind ist erbarmungslos, hat sich zu einem Orkan ausgewachsen. Ich drehe um und wieder wirft der Wind mein Rad um, reisst mir das schwer bepackte Rad fast aus den Händen. Danach hat mein Hinterrad einen Platten... und ich kann am nächsten Tag meine blauen Flecken und Kratzer zählen. Ich versuche ein Auto anzuhalten das mich vielleicht bis zum nächsten Ort mitnimmt. Tatsächlich hält das zweite Auto an, aber es gibt nicht genug Platz für mich und mein Rad. Der Fahrer schlägt mir vor zur Baustelle des Wasserkraftwerks zu gehen und dort nach einer Bleibe zu fragen. Also schiebe ich mein plattes Rad die 3km bis zur Schranke. Ein Sicherheitsmann, Emanuel, nimmt mich in Empfang. Er muss noch seinen Chef fragen und ich nutze die Wartezeit zum Fahrrad flicken. Es wird dunkel, ich bin kaputt und mir ist echt elend. Emanuel bringt mir Wasser mit Orangenpulver und was zu essen. Wir reden ein bisschen, er erzählt mir das das Stauwerk das hier gebaut wird eigentlich ein Witz ist weil kaum mehr Regen fällt und der Fluss zu wenig Wasser hat. Ausserdem ist in fast jedem seiner Sätze das Wort "gefährlich" enthalten und ich soll auf alles mögliche aufpassen. Dann zeigen er und sein Chef mir einen Platz zum Zelten. Hinter dem Haus versuche ich mein Zelt aufzubauen, dabei fällt mir auf das ich meine Heringe in der Eile unter der Brücke habe stecken lassen. Gut das ich noch Ersatzheringe habe. Beim Hering einschlagen treffe ich leider die Wasserleitung des Gebäudes und das Wasser kommt in einer Fontäne rausgeschossen. Kann es eigentlich noch beschissener werden? Ich rufe die Security und die Leitung wird notdürftig mit Gaffa, Plastiktüten und Draht geflickt. Der Platz zum Zelten ist jetzt allerdings mit Wasser überflutet, zelten kann ich da nicht mehr. Es stellt sich sowieso als zu windig raus, da wäre ich weggeflogen. Also quetsche ich mein Zelt zwischen die zwei Gebäude, notdürftig und improvisiert gegen den Wind gesichert. Die Firststange kann ich garnicht nutzen, der Platz reicht nicht aus. Um 23 Uhr komme ich endlich auf die Matte. Die meiste Nacht schrabbelt und wackelt mein Zelt und ich hoffe inbrünstig das nichts kaputt geht. Irgendwann gegen Morgen lässt der Wind nach. Viel Schlaf bekomme ich nicht, dafür bin ich früh wach und komme schön zeitig los. Emanuel bringt mir Brötchen und Tee, für ihn ist jetzt Schlafenszeit nach der Nachtschicht. 




Natürlich sammle ich auf dem Weiterweg noch meine Heringe unter der Brücke ein und freue mich das der Wind gedreht hat und mich das Flusstal hochbläst, und zwar mit voller Wucht. Wenn ich in einer Kurve bin kann es auch sein das der Wind böig von der Seite kommt und ich mich voll dagegen lehnen muss. Ich verlasse das graue wolkenverhangene Tal und komme auf eine Hochebene mit Blick auf die 5- bis 6-Tausender. In Calingasta mache ich eine Pause und freue mich das der Wind danach etwas nachgelassen hat. 







Weiter geht's nach Barreal, all diese Orte haben mal am Wasser gelegen, der See ist ausgetrocknet. In Sorocayense rufen mir 2 Jungs etwas hinterher, wollen wissen wo ich herkomme und die üblichen Fragen. Ich frage sie was sie mit ihrer Zwille jagen? Truthahn! kriege ich zur Antwort.



In Barreal gehe ich auf den Zeltplatz. Dort ist Héctor seit 4 Tagen, hat sich hier vor dem Wind gerettet. Héctor ist frisch pensionierter Architekt aus Chile und erkundet jetzt mit 67 Südamerika auf dem Rad. Beim Zelt aufbauen spricht mich noch Alfonso an, ein junger argentinischer Anwalt der mit dem Motorrad durch sein Land reist um sich einen schönen Platz zum Niederlassen zu suchen. Ich nutze die Gelegenheit einer ziemlich nötigen Dusche. Zu dritt gehen wir am Abend in den Ort in ein Weinlokal. 

Nach einer erholsamen Nacht machen Héctor und ich uns in unterschiedliche Richtungen auf, er fährt nach Norden wo ich hergekommen bin und ich Richtung Süden. Eine ruhige Strasse mit einem Abschnitt "ripio", das heisst Waschbrettbelag, bergauf entlang der Cordillera del Tigre erwartet mich, wieder 115km ohne Wasser. Auf dem ersten Foto ist in der Ferne die Cordillera Principal zu sehen, mit dem zweithöchsten Berg Amerikas, der Cerro Mercedario mit einer Höhe von 6770m. 





Ich zelte auf 2330m Höhe schön windgeschützt in einem trockenen Bachbett. Kurz nach dem Dunkelwerden, als ich mit meinem GuteNacht-Tee vor dem Zelt sitze, kommt ein Fuchs zu Besuch, ganz nahe bis auf ca. 4m schleicht er sich heran, im Licht des Mondes deutlich erkennbar.  Eine ganze Weile steht er so dicht bei mir, wir besehen uns stumm, dann trottet er weiter.


Morgens zum Aufwachen leuchten mich die Berge an. In der Nacht hat es auf -5°C abgekühlt.

Beim Frühstück mit Café wärmt langsam die Sonne. Danach rolle ich bergab nach Uspallata, ein Wintersport-Ort westlich von Mendoza, und leiste mir ein Zimmer in einer Hospedaje. 

Ich kaufe mir ein Busticket bis Puente del Inca und fahre am nächsten Tag auf einer vielbefahrenen Strasse durch Skigebiete in Richtung chilenische Grenze in den Parque Provincial Aconcagua. Um 9:30 Uhr bin ich am Parkeingang und laufe los. Nach 100Hm etwa kommt mir ein Parkwächter entgegen und sagt mir ich muss ein Eintrittsticket kaufen. Also wieder runter, das Besucherzentrum hat erst ab 10 Uhr geöffnet. Und dann laufe ich in's Tal, dem Aconcagua entgegen, mit 6961m der höchste Berg Amerikas und einer der 7 Summits. Die Wolken machen auf, der Blick ist frei auf diesen schönen Giganten den man ab Dezember besteigen kann. Ich komme ihm auf etwa 20km nahe und bis auf 3040m Höhe, weiter darf man nicht. Dort setze ich mich an den Bach und mache Mittagsrast, sitze lange da und lausche dem Rauschen des Wassers. Vögel deren Namen ich nicht kenne kommen ganz nahe, die Sonne wärmt und ich geniesse Aussicht.











Und dann laufe ich wieder runter. Mir kommen Scharen von Brasilianern und Argentiniern entgegen, der Schnee ist inzwischen sulzig und meine Füsse werden nass. Am Besucherzentrum unterhalte ich mich mit Joaquin der mir erzählt was hier im Sommer abgeht. Unzählige Gruppen wollen auf den Berg, ständig landet der Hubschrauber. Joaquin und die anderen Parkwächter kümmern sich mit um die Mulis, richten die Zeltlager ein, koordinieren Rettungen. Er zeigt mir auf dem Zustiegsplan die verschiedenen Routen und Lager zum Akklimatisieren, erzählt mir welche Berge in Argentinien noch interessant sind zum Begehen, und von der Mumie des Inka-Kindes das auf ca. 5400m Höhe gefunden wurde. Zum Abschied umarmen wir uns fest, das war eine schöne Begegnung. Ich laufe auf den verfallenen Eisenbahnschienen zurück nach Puente del Inca, einer natürlich geformten Brücke über den Rio Mendoza. 






Mit dem Bus geht es wieder zurück nach Uspallata. Im Park trommelt eine Gruppe Jugendlicher, ich gehe was essen.



Am nächsten Morgen muss ich leider 50km auf der stark befahrenen Ruta 7 weiter. Unzählige LKW's aus Chile kommend wollen an mir vorbei, teils in riskanten Überholmanövern. Ich bin froh das ich ab Potrerillos auf eine kleinere Strasse ausweichen kann. Viele Freizeit-Radler sind heute unterwegs. In einem Vorort von Mendoza darf ich bei Janine und Gabriela übernachten, ich werde mit offenen Armen empfangen und bin glücklich das ich so herzlich aufgenommen werde. Und Janine bäckt ein Sauerteig-Vollkornbrot!





Argentinien ist toll. In keinem Land bisher war es so einfach wild zu zelten. Die Menschen sind offen und neugierig, total hilfsbereit und beschenken mich immer wieder mit Essen, fragen auf offener Strecke ob ich etwas benötige. Die Autofahrer können anstrengend sein, hier ist es wie in ganz Amerika: du bist ein Hindernis und kein Verkehrsteilnehmer. Aber viele halten auch den Daumen hoch aus ihrem offenen Fenster oder hupen motivierend. Der europäische Einfluss ist deutlich spürbar im Land, es gibt schicke Villen und die elektrischen Leitungen sind vielerorts wieder unter Putz verlegt. Die Sprache zu verstehen ist für mich teils schwierig, Argentinier reden gerne schnell und haben eine besondere Art der Aussprache. Aber auch daran werde ich mich gewöhnen. Der Wind ist um diese Jahreszeit gerne heftig, es ist ein thermischer Wind ähnlich wie bei uns der Föhn, nennt sich Zonda, kommt vom Pazifik über die Anden und heizt sich beim Abfallen auf und nimmt Fahrt und gerne auch Staub auf. Ich werde mir wohl eine Windfinder-App laden und heftige Tage zum Radeln meiden.

Mein Kugellager bekommt eine Säuberung und Fett nach der Salzwüste und dem ganzen Staub. In Mendoza treffe ich mich mit Darius, ein Radreisender aus Deutschland der mir meine in Salta vergessene Sonnenbrille mitbringt. Alfonso, den ich auf dem Campingplatz in Barreal kennengelernt habe, hilft mir ein Formular für den Zoll auszufüllen und wir gehen zusammen durch die Stadt und in 2 Museen. Jetzt muss ich hier auf ein Päckchen warten was Hannes mir geschickt hat, und hoffe das das keine zwei Wochen dauert. Ich darf so lange bei Janine und Gabi bleiben.









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