Donnerstag, 29. Juni 2023

Mit Auf und Abs durch die Anden

Ich habe einen Scheiss-Tag. Die Nacht war kurz, bis nach Mitternacht wurde auf der nahen Plaza geböllert und laute Musik gespielt. Ich habe wenig geschlafen. Ich starte und mache mein GPS an, was ich selten tue. Das Navi führt mich bergab in die falsche Richtung, und ich folge ihm. Irgendwie sagt mir mein Orientierungssinn das das nicht stimmen kann, aber erst viel zu spät gucke ich auf die Karte. Und tatsächlich, 400Hm und 14km muss ich wieder bergauf radeln und bin am Ende dort wo ich gestartete bin. 30km und 400Hm zusätzlich! ich versuche mich nicht zu ärgern. Aber meine Beine wollen heute nicht so richtig, ich bin schlapp. Also schön langsam weiter. Ich halte an und beim Öffnen meiner Limonaden-Flasche fliegt sie mir um die Ohren. Nicht ärgern...! Die Hunde sind heute besonders aggressiv, tatsächlich beisst einer in mein Hinterrad und später einer in eine meiner Taschen. Und dann wird mein Glück von mehreren Tagen wenig befahrener Strasse beendet und die Strasse birst wieder von drängelnden hupenden LKW's, Autos, Motocarros und Motorrädern. Es ist anstregend! Soll ich jedes Mal in den Graben springen wenn hinter mir oder im Gegenverkehr ein überholendes Auto vorbei will? Peruanische Autofahrer, ihr nervt!!!! Ich bin alle, suche einen Zeltplatz, finde keinen, also weiter nach Ayacucho. Müde und grumpelig checke ich in einem Hospedaje ein. Die Besitzerin gibt mir ein grösseres Zimmer zum kleineren Preis. Bin ein bisschen versöhnt. Hoffentlich schlafe ich gut. In den nächsten Tagen werde ich noch ein paarmal die 4000m-Marke überfahren.




Tags darauf klettere ich langsam in die Höhe. Glücklicherweise ist die Strasse wieder weniger befahren. Ich komme nicht so schnell voran wie gedacht und decke mich bei einer der letzten Möglichkeiten mit Wasser ein. Die 4000m schaffe ich heute nicht, bei 3900m finde ich einen versteckten Platz zum Zelten und bekoche mich. Noch wärmt die Sonne, aber sobald sie untergeht kühlt es verdammt schnell ab. Was kann ich also machen wenn es draussen kalt und dunkel wird? in den Schlafsack kuscheln, ein bisschen lesen und gaanz früh einschlafen. Nachts muss ich kurz raus und bin von Sternen umgeben. Ich geniesse den Anblick solange mein abkühlender Körper das zulässt. Am nächsten Morgen zeigt mein Thermometer am Tacho -5°C an. Gut das meine Schlafsackwahl und Isomatte den Test bestanden hat. Café kochen, Müsli essen, und die Sonne wärmt auch langsam wieder.





Frisch gestärkt und mit gut 10 Stunden Schlaf haben meine Beine heute auch wieder Saft. Die letzten 300Hm sind schnell geschafft. Was folgt ist ein ständiges Auf und Ab auf über 4000m Höhe. 40km lang bleibe ich auf dieser Höhe, der höchste Punkt liegt auf knapp 4300m. Gigantische Ausblicke. Aus Interesse messe ich meinen Ruhepuls, 66 ist ganz schön gut akklimatisiert, oder?





Und dann geht es bergab. Über 2000Hm Abfahrt liegen vor mir.




Ich schaffe es nicht bis in's Tal, ich muss nämlich dringend auf's Klo, und weil ich kein Papier habe halte ich an der ersten kleinen Tienda, decke mich mit Wasser und Papier ein und darf das Klo benutzen. Und es ist schon spät. Ich halte im nächsten Ort und gehe in eine Hospedaje. Ich fühle mich garnicht wohl, mir ist kalt und unter der kalten Dusche bibbere ich. Irgendwas ist in meinen Körper gelangt was dringend raus muss, und zwar oben und unten... Mit Schüttelfrost lege ich mich in's Bett und renne die ganze Nacht auf's Klo. Leider ist die Hospedaje überhaupt nicht gut, die Klotür schliesst nicht (wenigstens ist im anderen Zimmer niemand mit dem ich das Bad teilen muss), das Zimmer kalt und ungemütlich, die Matratze total durchgelegen und die Besitzerin nicht wirklich freundlich. Aber am nächsten Morgen bin ich so geschwächt das ich noch einen weiteren Tag bleiben muss.
 

Also koche ich mir Kamillentee und zerkaue vorsichtig einen Apfel, trinke eine kleine Cola (ich kann Cola nicht leiden, aber eine Ärztin hat mir mal Cola gegen Brechdurchfall verschrieben) und esse trockene Cracker. Wie gut das mein Schwesterchen mich noch in DE mit Kohletabletten ausgestattet hat (<3). Der Tag ist hauptsächlich zum Schlafen da mit kleinen Runden durch den Ort. Im Nebenzimmer zieht eine Familie ein. Ich komme mit dem Mann in's Gespräch, er interessiert sich für meinen Kocher und mein Rad und wird ein bisschen aufdringlich, fragt mich unter anderem mehrmals nach meiner Telefonnummer. Ab jetzt bleibt meine Zimmertür gut zu. Abends koche ich mir ein Süppchen, langsam fühle ich mich besser. Aber die Bauchkrämpfe sind noch da. 
Am folgenden Tag packe ich meine Sachen. Bergab rauschen geht auch ohne Kraft, der Blick in's Tal ist wunderschön. 




Auf 2000m Höhe angekommen öffnet sich ein weites Flusstal. Beim Versuch die moderaten Steigungen zu fahren gebe ich auf. Ich bin einfach zu schwach. Ich halte ein Collectivo an, mein Rad landet auf dem Dach, und mit dem Auto geht es auf über 4000m Höhe und wieder runter nach Andahuaylas. Dort steige ich um in's nächste Collectivo bis Abancay. Wieder geht es rauf auf über 4000m Höhe und der Blick auf ein paar richtig hohe Gipfel wird frei. Es macht mich wehmütig das ich hier nicht langsam mit dem Rad durchfahren und anhalten kann wie ich will, aber so ist es nunmal. Neben mir im Bus sitzt eine Native Peruanerin und ich versuche mit ihr in's Gespräch zu kommen. Sie hat keine Lust. Kann ich akzeptieren. Aber bei der Fahrt bohrt sie ihre spitzen Ellbogen in meine Rippen und ich bewege sie immer wieder weg von mir. Ich bin mir nicht sicher ob sie das mit Absicht macht. Sie spricht mich an in Quechua, und als ich ihr sage das ich ihre Sprache nicht spreche fängt sie kichernd ein Gespräch mit dem Nachbarn an. Ich verstehe nur "Gringa". Das ist Peru für mich: mit zwiespältigen Gefühlen belegt, auf der einen Seite total herzlich, ich bekomme ständig Früchte zugesteckt, habe freundliche Begegnungen, Menschen winken mir aufmunternd zu, wir lachen gemeinsam, umarmen uns; auf der anderen Seite das hinter der Hand tuscheln, kichern, sich überall vordrängeln, die aggressiven Hunde und die rücksichtslosen Autofahrer. Was ich allerdings bemerkenswert finde: die Menschen hier wollen nicht gefallen, sie sind einfach wie sie sind.



In Abancay miete ich mir ein Hotelzimmer für zwei Nächte und versuche mich zu erholen. Ich schleiche durch die Stadt, so schwach bin ich, und taste mich langsam an feste Nahrung ran.


Ich habe tierisch abgenommen, sowieso schon vom Radeln, und jetzt noch mehr vom Durchfall. Am Freitag werde ich das letzte Stück mit dem Bus nach Cusco fahren, abends kommt Hannes. Ich werde einen Monat Fahrrad-frei machen (mal sehen ob ich das aushalte...), viel essen und all die Touri-Sachen mit Hannes bereisen auf die wir Lust haben.

Samstag, 24. Juni 2023

einsame Strasse

Von Huancayo fahre ich Richtung Izcuchaca weiter. Mir kommen 2 Radreisende entgegen, auf dem Weg von Argentinien nach Kolumbien. Das Paar aus Belgien ist mit E-Bikes unterwegs, und um die Akkus zu laden ziehen sie je einen Anhänger mit Solarpaneel hinter sich her. Wir unterhalten uns ein bisschen und ziehen dann in entgengesetzte Richtungen weiter. Ich komme an eine Mautstelle. Vor der Mautstelle biegt eine kleinere Strasse ab, an der ein Mann eine Schnur über die Strasse gespannt hat. Die Schnur wird gelupft wenn die Fahrer bezahlt haben. 2 Soles (ca. €0,50) bezahlen die Fahrer, dafür fahren sie etwa 2km auf holpriger Strasse. Die eigentliche Maut kostet 7,50 Soles für PKW's. Fast alle Autos fahren über die kleinere Strasse die hinter der Mautstelle wieder auf die große Strasse mündet und entgehen so der teureren Maut. 



Nach einer Steigung und Abfahrt komme ich wieder an den Rio Mantaro der mich seit ein paar Tagen schon begleitet. Im Tal sind einige verlassene verfallene Siedlungen. Flussabwärts lande ich in Izcuchaca. 





Zur Nacht finde ich eine private Unterkunft. Und leider bin ich am nächsten Morgen schon wieder krank mit einer Erkältung und leichtem Fieber. 3 Tage bleibe ich bei Benito und Luisa. An Tag 1 schlafe ich fast nur. An Tag 2 schlafe ich auch noch viel, lese, repariere meinen langsam immer morscher werdenden Seidenschlafsack (eins meiner Unterhemden dient als Flicken) und gehe mittags in den Comedor der katholischen Kirche in dem auch die Schulkinder essen. Hier kocht Maria, die Nonne, mit 2 Helferinnen. Mein Erscheinen weckt das Interesse des Pfarrers der ursprünglich aus Polen kommt. Gegen Abend holt mich Maria aus der Unterkunft und bringt mich zu Pfarrer Henryk der mich zu Tee und Kuchen einlädt und über meine Reise ausfragt. Paola wohnt vorübergehend in der Pfarrei (das stattlichste Haus im Ort) und weil sie sich gerade für ein Freiwilligenjahr  in Deutschland bewirbt korrigiere ich ihr Bewerbungsschreiben. Wir unterhalten uns noch lange. Tag 3 bringt Benito sein Fahrrad aus der Garage und ich versuche es zu reparieren. Garnicht so einfach: billige Komponenten und der Mangel an Ersatzteilen zwingt zu Kompromissen. Erstmal die fehlenden Felgenbänder aufziehen. Die Bremssättel der V-Brake haben ausgerissene Kunststoff-Schraubenfutter, da lässt sich nix reparieren. Aber immerhin kann ich aus der hinteren Bremse ein paar Teile in die vordere Bremse setzen und so hat das Rad wenigstens eine Vorderrrad-Bremse. Naja, und die Schaltung kriege ich auch einigermassen hin. Ich freue mich das ich Benito ein bisschen "zurückzahlen" kann. Während Luisa 2 Autostunden entfernt in einer Schule arbeitet und nur am Wochenende nach hause kommt bekocht er mich und sorgt dafür das ich immer Vitamine aus dem Garten und warmen Tee habe. Er freut sich allerdings auch das er beim Essen Gesellschaft hat. Am Nachmittag gehe ich auf den Markt und lasse einen Schuster meine in Guatemala hundezerkauten Schuhe reparieren. An der Bank stehen die Menschen Schlange, mobiles Haare schneiden am Marktstand.









Am nächsten Morgen will ich weiter und Benito macht mir ein reichliches Frühstück zum Abschied: es gibt von ihm gefangene Forelle fritiert mit Kartoffeln und Tomaten. Ausserdem steckt er mir 2 Avocados und ganz viel Obst in die Tasche. Der Abschied fällt sehr herzlich aus. Und weil ich noch ein bisschen schwach bin entscheide ich mich am Fluss entlang weiter zu fahren und nicht über den Berg. Eine gute Entscheidung: die Strasse ist wenig befahren und landschaftlich beeindruckend. Die Trockenheit ist wohl aussergewöhnlich für diese Jahreszeit und der Fluss hat nur wenig Wasser. Für mich erstaunlich ist immer wieder, das dieser Fluss in den Atlantik fliesst wo doch der Pazifik so viel näher ist! An vielen Stellen sind Erdrutsche und machen die Strasse zur holprigen Piste oder einspurig. Ich treffe auf eine Gruppe Männer die Bienenstöcke zu einem LKW tragen. Bei der Weiterfahrt überholen sie mich, um ein Stück weiter noch mehr Bienenvölker zum Auto zu tragen. Sie rufen mir zu und laden mich zu einem Schluck Inca-Kola ein, ein gelbes Getränk was im Zuckergehalt dem braunen Getränk in nichts nachsteht. Sie erzählen das sie die Bienen in die Selva bringen weil hier in der Sierra nicht mehr genug Blumen blühen. 80 Völker werden umgezogen in einer ca. 12-stündigen Autofahrt. 











In Anco bleibe ich zur Nacht. Zum Einkaufen betrete ich einen kleinen Laden mit zwei anwesenden Frauen, einem Kind und einem Mann und werde nach meinem Gruß (wie so oft für ein Mann gehalten) mit "buenas tardes Papi" begrüßt. Ich antworte "no, Mami" und die Anwesenden lachen sich schlapp. Ich sage ihnen das sie nicht die ersten sind die mich für einen Mann halten und wir lachen zusammen. Die Ladenbesitzerin sagt das die Verwechslung daher kommt weil ich keine "Chichi" habe. Auf meine Frage was das ist wackelt sie mit ihren Brüsten. Ich antworte das ich wohl "Chichi" habe und garnicht mehr davon will und wir wackeln alle mit den Brüsten begleitet von viel Lachen. "Chichi" ist also mein erstes gelerntes Wort in Quechua. Ich werde zu einer Mazamorra eingeladen, eine Grütze die hier aus Gemüse oder Obst zubereitet wird, heute aus Kürbis. Ich sitze eine ganze Weile mit im Laden und irgendwann verabschieden sich die Nichte der Besitzerin mit Kind und ich. Am nächsten Morgen gehe ich mein Wasser dort einkaufen und werde mit einem Stück Kuchen beschenkt. Zum Abschied wackeln wir wieder mit den Brüsten. Die Anrede "Mami" oder "Papi" ist hier übrigens sehr üblich und ist liebevoll gemeint.  Weiter geht's, am Fluss entlang. Ich bin inzwischen auf 2200m und die Landschaft wird immer trockener. Kurz vor Huanta verlasse ich den Rio Mantaro und fahre wieder bergauf auf 2800m. 









In den nächsten Tagen kommen wieder einige Steigungen auf mich zu. Und leider auch wieder eine Busfahrt, die Erkältung hat mich zeitlich zurück geworfen und ich schaffe es nicht bis Cusco in einer Woche.