TELL ME, WHAT IS IT YOU PLAN TO DO WITH YOUR ONE WILD AND PRECIOUS LIFE? (MaryOliver)
Gleich am nächsten Morgen überquere ich die Grenze von Bolivien nach Argentinien. Es herrscht geschäftiges Treiben zwischen den beiden Ländern. Frauen und Männer rennen mit vollbepackten Karren hin und her. Was ich erkennen kann ist das Getränke nach Argentinien gekarrt werden und Baumaterial zurück. Ich zeige meinen Pass und bekomme ein Visum für 90 Tage. Dann muss ich mit meinem Rad durch den Zoll. Es gibt Scannerbänder für das Gepäck, aber netterweise muss ich meine Taschen nicht vom Rad nehmen. Der Zollbeamte sagt ich soll die Taschen öffnen. Ich öffne eine, und halbherzig wühlt er ein bisschen drin rum. Ich zähle auf was ich in jeder einzelnen Tasche habe (Küchentasche, Schlafsacktasche, Zelttasche...) und er winkt mich durch. Land No. 17! jetzt bin ich also in Argentinien. Erstmal Geld wechseln. Meine restlichen 130 Bolivianos (etwa €15.-) tausche ich in einer Tausch-Stube mit großem Andrang und erhalte 12.000 argentinische Pesos. Argentinien leidet gerade unter einer extremen Inflation, sodass alle hier beim Bezahlen dicke Geldbündel zücken.
Und dann mache ich mich an meine ersten Kilometer in Argentinien. Gleich hinter dem Grenzort ist eine Strassenblockade. Ich darf passieren. Ich frage eine Frau wogegen sie protestieren. Sie antwortet ein bisschen schüchtern oder irritiert. Es geht um das Landrecht was den Indigenen im Jahre 2006 garantiert und das Versprechen was bis jetzt nicht eingehalten wurde.
Die Landschaft ist immernoch geprägt vom Hochplateau. Mein erster Eindruck: es liegt nicht mehr ganz so viel Müll am Strassenrand, und die mobilen Händler die es sonst in Südamerika gab sind rarer. Die Autofahrer sind nicht mehr alle so rabiat, und in den Orten gibt es mehr Radfahrer als in Bolivien. Sogar die Polizei fährt Rad.
Ich fahre 75 km weiter, der Wind ist heute mal wieder ein bisschen auf meiner Seite. In Abra Pampa übernachte ich in einem Hotel und sehe mich im Ort um. Ich bleibe einen weiteren Tag weil ich an einem Zoom-Meeting teilnehmen will und dafür verlässliches Internet brauche.
Es geht bergab! Mit Rückenwind! Dafür muss ich allerdings erstmal ein kleines Stück bergauf. Aber dann bläst mich der Wind nach Humahuaca. Die Felsformationen sind beeindruckend, und es gibt wieder Goatheads, diese fiesen kleinen Dornen die an Bodendeckern wachsen und aussehen wie kleine Ziegenköpfe. Wenn du sie rechtzeitig aus dem Reifen puhlst hinterlassen sie keine Löcher im Schlauch.
Ich zelte auf einem kleinen Zeltplatz mit Clo und warmer Dusche und gehe in den Ort, ein schöner kleiner Touri-Ort mit Hippie-Charme. Und tatsächlich gibt es eine Auswahl an Restaurants mit vegetarischen Optionen ohne dem üblichen Pollo.
Renato, der den Zeltplatz betreibt, erzählt mir das es seit Dezember nicht mehr richtig geregnet hat. Es bläst heftig und der Staub, dieser immer präsente Staub, ist überall: im Zelt, im Schlafsack, an den Klamotten, in den Augen, der Nase... meine Nase ist schon ganz wund vom vielen Staub. Ich schlafe trotzdem gut, die Temperaturen sind über Null. Am nächsten Tag komme ich spät los, ich muss noch Geld abheben, am 1. des Monats sind lange Schlangen am Automaten. Ich habe schlechte Laune, der Automat spuckt nur eine geringe Summe aus und verlangt dann auch noch eine Gebühr von fast 25%. Ich habe keine andere Wahl. Und weil ich so spät los komme setzt auch schon bald der erwartetet Wind ein. Diesmal kommt er von vorne, und trotzdem es bergab geht muss ich heftig treten. Immer wieder kommt er böig von der Seite.
In urbanen Zonen ist der Mittelstreifen mit Noppen ausgestattet. Die meisten Autofahrer überqueren diese Noppen um mich zu überholen, aber es gibt tatsächlich Fahrer die hinter mir herfahren und kilometerlang hupen. Wo soll ich hin? Es weht mich sowieso hin und her, ich werde mich nicht an den Rand quetschen lassen. In Argentinien habe ich den Stinkefinger schon öfter gesehen als auf meiner ganzen Reise gesamt. Auch die Busfahrer sind hier erbarmungslos, überholen dicht und hupen auf meiner Höhe sodas ich manchmal richtig erschrecke. Ein Scheiss-Tag, es nimmt mich echt mit. Ich muss leider noch bis zur nächsten grösseren Stadt auf der Carretera bleiben, aber sobald ich kann werde ich auf kleine Strassen abbiegen. Ich kämpfe mich noch ein Stück durch den Gegenwind und beschliesse im nächsten Ort ein Hostel zu nehmen. Eigentlich wollte ich zelten, aber mir ist echt elend und zum Heulen. Ich halte an einem Restaurant und drinnen gibt es Kuchen. Ich frage die beiden Frauen ob sie von einem Hostel wissen, und sie bieten mir ihre Cabana an. Nicht billig, aber ich beschliesse das ich mir heute etwas Gutes tun sollte. Ich esse einen Kuchen und sage die Hütte zu, Ana bringt mich hin und umarmt mich. Sie hat meinen Zustand gesehen als ich fast in Tränen über die aggressiven Autofahrer geredet habe. Ein bisschen bin ich versöhnt. Heute fühle ich mich wirklich allein. Jetzt sitze ich seit langem mal wieder in kurzer Hose in der Sonne, auf 2500m ist es einfach deutlich wärmer, schneide mir die Nägel, wasche ein paar Sachen und geniesse mein kleines Zuhause für eine Nacht. Manchmal ist es einfach gut wenn man eine Tür hinter sich zu machen kann.
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