Samstag, 6. Januar 2024

mit viel Rückenwind in's neue Jahr

Endlich ist mein Hinterrad fertig, neue Pedale habe ich mir auch spendiert, und ich kann weiter. Der Wind bläst mich vorwärts, ich komme gut voran.





Am Nachmittag fängt es an zu regnen, also Regenzeug an, weiterradeln... Ich schaffe die knapp 150 km bis Villa Techueles und finde ein Zimmer in einem Privathaus. Auch Giovanni ist hier, zusammen mit Pedro, 77 Jahre alt, und Santiago, 58 Jahre, in der Hütte hinter dem Haus einquartiert. Pedro und Santiago sind Kolumbianer, seit etwa 25 Tagen unterwegs, und weil die beiden nur mit Leichtgepäck und ohne Zelt unterwegs sind müssen sie täglich richtig Strecke machen um immer eine Unterkunft zu finden. Die weiteste Strecke war 240 km am Tag! Mein Zimmer ist im Vorderhaus bei Anna Maria und Juan, ein Stockbett und die Kühltruhe des Hauses sind meine Möblierung. Ich freue mich über die warme Dusche und den Ofen um meine nassen Sachen zu trocknen. Durch den Garten läuft am Abend ein Armadillo, Füchse kommen zum Gute Nacht sagen.


Nach Punta Arenas sind es nochmal 106 km, die meiste Zeit bläst der Wind von hinten, allerdings ist es auch ein ganzes Stück richtig anstrengend und haarig mit Seitenwind auf der viel befahrenen Strecke. In Punta Arenas teile ich mir ein Zimmer mit Giovanni. Leider knacksen meine Speichen am Hinterrad, für das schwere Gepäck sind sie viel zu locker, ich muss jede einzelne Speiche ein Mü nachspannen, habe danach wieder eine leichte Unwucht. Zum vierten Mal muss ich zum Mechaniker, Andres hat glücklicherweise spontan Zeit für mich. 



Kann die Hinterrad-Arie jetzt endlich ein Ende haben?! Ich habe 100 km Piste vor mir, will nix riskieren. 
Am nächsten Tag gehe ich an Bord der Fähre nach Porvenir, über die Magellanstrasse nach Feuerland. Pedro und Santiago sind auch auf der Fähre.




Hallo Feuerland!



Wir sind früh in Porvenir, ich entschliesse mich noch ein Stück weiter zu fahren. 70 km bis zur nächsten Zeltmöglichkeit mit Windschutz liegen vor mir, ich habe Lust auf ein Silvester in der Einsamkeit. 20 km radle ich mit Seitenwind auf Asphalt, dann biege ich ab Richtung Osten und habe "ripio" (=Schotter) und Hilfe vom Rückenwind. Es geht an der Küste entlang, rechts von mir liegt die Bahia Inutil, und es geht ganz schön auf und ab. Plötzlich wieder am Meer, die Landschaft ist wunderschön, ich geniesse die Einsamkeit und den nicht vorhandenen Verkehr.


Meine Silvesternacht verbringe ich an einem einsamen Baum der mir Schutz bietet vor dem stets vorhandenen Wind. Kein Handy-Empfang, nur die Vögel, der Wind, der weite Himmel und ich. Früh schlafe ich ein, um genau kurz vor Mitternacht nochmal aufzuwachen und mir selbst ein gutes sinnerfülltes neues Jahr zu wünschen. Was für ein besonderer Jahreswechsel!



Am nächsten Morgen habe ich noch 30 km Piste vor mir, und dann geht es weiter auf bestem neuen Asphalt. Ich fliege voran, es ist wie Rennrad fahren. Und wieder steht ein Grenzübergang nach Argentinien an. Hinter der argentinischen Grenze gibt es ein kleines Hotel was total ausgebucht ist. Für diese Fälle dürfen Radreisende im Warteraum direkt an der Grenze übernachten. Es gibt sogar eine warme Dusche! Ich bleibe nicht alleine, ein Spanier auf dem Weg Richtung Norden gesellt sich dazu.
 



Nach dem Frühstück am nächsten Morgen fahren wir in unterschiedliche Richtungen weiter, ich möchte nicht mit dem Spanier tauschen, er hat meine Strecke der letzten beiden Tage mit heftigem Gegenwind zu bewältigen. Ich habe zwar nicht die ganze Zeit direkten Rückenwind, aber immerhin bläst er auch wenn er seitlich bläst tendenziell von hinten. Und dann wird mir klar das ich am Atlantik entlang fahre! Seit Panama war ich nicht mehr am Atlantik. 
Ich treffe auf ein ungewöhnliches Gespann das sich durch den Wind kämpft. Die beiden sind Feuerwehrmänner und auf dem Weg zu einer Mission an der Grenze zu Brasilien. Der schmalere der beiden sitzt vorne und tritt, der andere im Hänger und lässt sich ziehen. Bei dem Wind haben sie allerdings angefangen zu schieben. In 20 Tagen wollen sie die Strecke schaffen. Ich wünsche ihnen viel Glück.



In Argentinien bekommt jedes Verkehrsopfer zur Erinnerung einen Stern am Strassenrand des Unglücksorts.



In Rio Grande darf ich im Casa de Ciclista übernachten, mit mir sind dort Larissa und Jean aus Brasilien deren Reise hier zu Ende ist, und Chi aus Taiwan. José der Besitzer ist leider heute nicht zu hause.
Früh bin ich startbereit am nächsten Morgen, will schnell noch Geld abheben von der Bank. Tja, schnell ist mit Geld in Argentinien leider nicht drin, ich muss bis mittags warten bis ich endlich Geld bekomme. Und so sieht dein Geldbeutel aus in einem Land mit einer Inflationsrate von über 110%... 


Trotz fortgeschrittener Stunde mache ich mich noch auf den Weg, ich will einen Umweg Richtung Tolhuin fahren, eine wunderschöne Piste ohne Verkehr durch flechtenbehangene Wälder zum Lago Yehuin. Ich schaffe es nicht ganz bis zum See, finde aber einen verwunschenen Platz im Wald zur Nacht. Im beginnenden Regen koche ich mir im Schutz meines Tarps lecker Nudeln mit Blauschimmelkäse und Zucchini.




Zum See sind es nur noch 31 km, überall diese tollen flechtenbewachsenen Bäume, jeder einzigartig.





Bei strahlendem Sonnenschein komme ich am See an und geniesse einen Nachmittag mit Baden, Fahrradpflege, auf's Wasser glotzen, spazieren gehen. Später findet sich noch Marcel aus Uruguay ein, er ist in Ushuaia gestartet und schon viel in der Welt rumgekommen mit dem Rad, u.a. in Asien und Europa. Wir gesellen uns zusammen für ein frühes Abendessen, tauschen uns aus und verstehen uns bestens. Marcel geht früh schlafen, ich mache mir ein Feuerchen auf Feuerland.






Marcel bricht früh auf, wir verabschieden uns herzlich. Meine Frühstücksreste finden dankbare Abnehmer, mit beginnendem Nieselregen baue ich mein Zelt ab. Und dann fahre ich durch den wolkenverhangenen Tag nach Tolhuin. Auf dem letzten Stück fängt es richtig an zu regnen. 




In Tolhuin gibt es ein Casa de Ciclista, aber ich habe nicht so viel Lust 2 Nächte in einem düsteren Zimmer zu verbringen. Auf der Suche nach einem Campingplatz bekomme ich ein komplett unmöbliertes Haus angeboten in dem es immerhin ein Badezimmer, Elektrizität und einen Herd gibt. Klatschnass gesellt sich Giovanni dazu der aus Rio Grande im Regen angekommen ist. Wir machen es uns "gemütlich" in unserem riesigen Domizil und haben uns viel zu erzählen über die letzten Tage. Weil für den nächsten Tag starker Wind angesagt ist habe ich das Haus für 2 Nächte gemietet. 


Morgen geht es in 2 weiteren Tagesetappen weiter nach Ushuaia. Giovanni und ich wollen gemeinsam radeln.

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