Freitag, 27. Oktober 2023

Patagonien

In Mallargüe laufe ich am Wahltag durch die Gegend, es ist Sonntag und wenig los. Mein Rad kriegt für die letzten 3000km in Südamerika nochmal eine neue Kette, ansonsten hänge ich einfach viel faul ab und nutze die Möglichkeit in einer Küche zu kochen.



Am nächsten Tag geht's weiter, ein kleiner Pass, die Cuesta del Chihuido, erwartet mich. Auf dem Weg komme ich wieder an einem der Schreine vorbei. Ich kenne jetzt endlich die Geschichte dazu und weiss warum dort so viele Wasserflaschen liegen: Difunta Corea lief 1841 in die Wüste um ihren Mann zu suchen und ist dabei verdurstet. Ihr Kind hat überlebt, es lag saugend an ihrer Brust. Sie ist die Schutzpatronin der Reisenden. 
Für heute ist Regen vorausgesagt, und ein kleines bisschen werde ich nass bei der Abfahrt. Abwärts in's Tal an den Rio Grande mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel. 









In Piedras Blancas gibt es einen kleinen feinen Campingplatz. Ich bin heute mal zu faul zum Zelt aufbauen, nehme mir ein Zimmer für umgerechnet €3.-. Und ein argentinisches Bier muss ich auch mal probieren. Im Osten bauen sich riesige Quellwolken auf und färben sich zum Sonnenuntergang. Der Platz belebt sich ein bisschen. Juan kommt dazu, er ist vor einiger Zeit von Mendoza hierher gezogen weil sich alle kennen im Ort und es so schön ruhig ist. Ein Campingmobil aus Brasilien findet sich ein und Emiliano fährt mit seinem Ford von 1970 auf den Platz. Emiliano zieht mit Hab und Gut nach Ushuaia. Er macht einen Roadtrip daraus, viel schneller als 70-80km/h fährt sein Wagen sowieso nicht. Schön, jetzt kenne ich schon jemand in Ushuaia wenn ich dort ankomme! Joni, der Besitzer des Campingplatzes, lädt mich zum Essen ein. Es gibt Torta de Pollo und die 2 Gendarmen die hier stationiert sind gesellen sich auch dazu. Gleichzeitig zum Essen läuft lautstark die Glotze, für mich immer eine schwierige Situation wenn ich mich sowieso schon so konzentrieren muss um die schnell sprechenden Argentinier zu verstehen.




Am nächsten Morgen entschliesse ich mich spontan noch einen Tag zu bleiben. Ich kann mich gut ein bisschen ausruhen, und die Ruhe hier tut gut. Emiliano verabschiedet sich, und lässt mir seine Telefonnummer da. Ich sitze in der Sonne, kuschel mit den Katzen, und faulenze ausgiebig.




Am Abend kommt Graciela dazu, sie ist auf der Rückreise von Bariloche nach Buenos Aires. Wir essen zu dritt zu Abend und Joni freut sich über Frauen-Gesellschaft. Ich gehe mit Kopfweh zu Bett.
Am nächsten Morgen brummt mir leider noch immer der Schädel. Ich entschliesse mich eine Tablette zu nehmen, und radle weiter. 150km bis zum nächsten Ort liegen vor mir, davon 85km "ripio", unasphaltiert. In 50km gibt es nochmal die Möglichkeit Wasser nachzufüllen, danach erstmal nicht mehr. Ich geniesse die Ausblicke auf die schneebedeckten Berge und Vulkane und die wenig befahrene Strasse und komme mit Rückenwind gut voran.
















Am Abend zelte ich gut windgeschützt hinter einer Mauer Lavasteine in angenehmer Entfernung von der Strasse. Das Gewitter bleibt glücklicherweise in weiter Ferne.
Am nächsten Morgen steht ein längerer Anstieg an. Natürlich wieder mit den tollsten Aussichten. Leider ist die Strasse ein bisschen mehr befahren, das heisst bei unasphaltiert: Staub schlucken. Die Nase wird dann auch ganz wund.




In Rancil del Norte mache ich Mittagspause. Und bis zur Grenze zur Provinz Neuquén sind es noch knapp 30km. Der Wind hat ein bisschen aufgefrischt und kommt von Westen. 
 




Und mit der Überquerung des Rio Barrancas bin ich dann ganz offiziell in Patagonien. Das letzte Kapitel meiner Südamerika-Reise! Die letzten Kilometer bis Barrancas dreht der Wind nochmal richtig auf. Für die 3km bergauf brauche ich eine halbe Stunde. Wenn das nicht eine echte patagonische Begrüßung ist... In Barrancas am Ortseingang steht ein Auto, eine Frau steigt aus und begrüsst mich. Ob ich ein Zimmer brauche? Bei dem Wind freue ich mich das ich nicht zelten muss und nehme dankend an. Ich übernachte in einem riesigen Familien-Appartment zu einem super Preis. Das nutze ich gleich aus um meine staubigen Klamotten zu waschen. Die Küche ist bestens um mir Gemüse zu kochen, etwas was mir auf langen Etappen oft fehlt weil es so schwer zu bekommen ist in kleinen Ortschaften. Die ganze Nacht heult der Wind um's Haus.




Ich will heute Strecke machen, Nordwind ist angesagt. Ich bin voller Bewunderung für die Blumen am Wegrand die sich in dieser Trockenheit und der Ausgesetztheit in den massiven Wind zu ihrer Schönheit entfalten. 


Die ersten Kilometer komme ich flott voran, aber der Wind kommt nicht nur von hinten, und bei Böen von bis zu 70km/h hebe ich schon fast wieder ab. Der Wind hält sich leider nicht an die Wettervorhersage, pfeifft aus den Tälern von vorne, dann wieder von der Seite... Die geplanten 110km enden bei 40km, dann gebe ich auf. In einem Appartment in Buta Ranquil unterhalb des Volcán Tromen miete ich mich ein. Und weil für die nächsten 2 Tage noch stärkerer Wind angesagt ist werde ich hier wohl auch 3 Nächte bleiben. Willkommen in Patagonien!




Sonntag, 22. Oktober 2023

endlich weiter

Unsere Einzimmer-WG: Alfonso ist Anwalt für Arbeitsrecht und hört sich auf dem Handy eine Vorlesung an. 


Ich treffe mich mit Martin in Mendoza. Martin ist aus Tübingen, radelt von Ecuador nach Chile und verfolgt mich auf Instagram. Er muss zu seinem Flug nach Santiago, und das macht er ein Stückchen mit dem Bus. Weil er ein paar Stunden Aufenthalt in Mendoza hat lädt er mich zum Essen ein. Natürlich haben wir uns eine Menge zu erzählen.


In der Gärtnerei pflanze ich auf Wunsch von Jorge und Claudia einen Baum (eher einen Busch) als Andenken an mich und meine Arbeit. Was für eine schöne Idee!




Sonntag ist Muttertag, da kommt die ganze Familie zu Besuch und es gibt Asado, viel Fleisch vom Grill, Diskussionen über die anstehende Wahl und Familienangelegenheiten, Bier, Wein und Geschenke für die Mütter. Ich freue mich das ich zu dem Fest eingeladen bin.




Und weil ich jetzt über 2 Wochen auf mein Päckchen gewartet habe, sich nichts bewegt hat und nicht abzusehen ist wann das Päckchen aus dem Zoll kommt, entschliesse ich mich darauf zu verzichten und weiter zu fahren. Mir ist die Einzimmer-WG auch ein bisschen zu eng, ich bin von morgens bis abends nie allein. Der Austausch mit Alfonso ist sehr persönlich, es ist schon erstaunlich wie wir uns kennengelernt haben in so kurzer Zeit. Wir verabschieden uns mit einer langen Umarmung. Auch der Abschied von Claudia und Jorge ist sehr herzlich, alle winken mir lange nach.


Von Gabriela habe ich ein paar Calendula-Samen mitbekommen die ich auf meiner Strecke in die Erde bringen soll, ein Andenken an ihren verstorbenen Mann. Und Jorge hat mir schnell noch ein paar Lavendelblüten gebracht. Gut ausgestattet mit Lebensmitteln fahre ich erstmal ein Stück auf der Ruta 40. In Tunuyán verbringe ich eine Nacht auf dem Campingplatz. Bis auf die Betreiber bin ich ganz allein.



Bis Pareditas bleibe ich auf der 40. Aber die Strecke ist langweilig, ich will Natur und Einsamkeit. 160km ohne Einkaufsmöglichkeit liegen vor mir. Die alte Ruta 40 wird anstrengend, das weiss ich schon nach den ersten paar hundert Metern. Nur langsam komme ich vorwärts. Waschbrett wechselt sich ab mit sandigen Passagen oder losen Steinen, holprigen Stellen, oder einfach alles auf einmal. Zusätzlich ist mein Rad mit 10 Litern Wasser bepackt. Aber schon das erste Stück der Strecke ist wunderschön. Ich will eigentlich bis 5 Uhr radeln, eine lauschige Stelle am Bach sticht mir in's Auge und ich entscheide mich eine Stunde früher mein Zelt aufzustellen. Eine gute Entscheidung, wie sich am nächsten Tag herausstellt. Direkt am Bach, windgeschützt von einem Baum, geniesse ich den Sonnenuntergang über den 5000ern. Ein kurzer Dipp in den eiskalten Bach ersetzt die Dusche, das Glucksen des Wassers ist mein Schlaflied. 










Am nächsten Morgen um 7 Uhr fährt das einzige Auto vorbei was mir diesen Tag begegnen wird. Heute ist es bedeckt, und der von Nord-Ost angesagte Wind weht mir von Süd-Ost entgegen. Ich kämpfe ziemlich und komme nicht schneller voran als 10km/h im Schnitt. Ein paar Regentropfen verirren sich zu mir. Die Ausblicke sind die Mühe wert, die schneebedeckten 5000er im Westen nahe. Auch heute komme ich nicht so weit wie ich eigentlich wollte, ein weiterer windgeschützter Platz am Bach überredet mich zum Bleiben. Meine Wasservorräte neigen sich, also kommt der Wasserfilter mit Wasser aus dem Bach zum Einsatz. Nach langer Zeit ohne Gebrauch ist er eingetrocknet, nur langsam tröpfelt das Wasser durch. Ich geniesse die Stille, sehe der Sonne beim Untergehen zu. Sofort ist es kalt, der warme Tee tut gut, und früh lockt der Schlafsack. 









Gut ausgeruht geht es am nächsten Tag weiter, gleich als erstes muss ich den Bach durchqueren. Leider geht das nicht ohne einen nassen Fuss. Wie gut das heute wieder die Sonne warm vom Himmel scheint. Die Ebene auf ca. 1500m Höhe wird immer wieder von Flusstälern unterbrochen die sich in die Landschaft  einschneiden. Hier findet sich auch die ein oder andere Siedlung, aber bis ich in La Jaula am Rio Diamante ankomme begegne ich keinem einzigen Menschen. Hier läuft mir Sebastian über den Weg. Ich frage ihn nach Wasser und Klopapier. Beim Bezahlen lädt er mich auf einen Mate ein. La Jaula war ein bewohnter Ort bevor die neue Strasse gebaut wurde, jetzt ist Sebastian der einzige ständige Bewohner dort. Er ist 27 Jahre alt und erzählt ein bisschen traurig das er keine Frau findet die mit ihm hier in der Einsamkeit das Leben teilen will. Die Schule im Ort ist für alle Kinder die verstreut in der Gegend wohnen und immer nur zeitweise belebt. Dann sind hier 20 Kinder mit 4 Lehrern die den Ort bevölkern. Die anderen Zeiten ist Sebastian allein mit seinen Schafen und Hunden. 







Ich verabschiede mich von Sebastian und überquere den Fluss. Ab jetzt geht es erstmal wieder ein ganzes Stück bergauf. Ein Truck überholt mich, auch dieser holpert langsam vor sich hin. Der Wind hat aufgefrischt, kommt als ständige steife Brise von hinten. Eine lange ebene Steppe folgt, kein Baum der Windschatten spenden könnte. Es wird langsam Zeit einen Schlafplatz zu finden. An einer einigermassen gleichmässig flachen Stelle schlage ich mein Zelt auf. Der Boden ist sandig, da halten meine kurzen Zeltnägel nicht ordentlich. Steine zum Beschweren gibt es nicht, also improvisiere ich mit Satteltasche, doppeltem Abspannen und dem Busch als Haltepunkt. Im Wind koche ich mir eine schnelle Nudel, zwischen den Zähnen knirscht der Sand der sich in den Kochtopf verirrt hat. Auch im Zeltinneren ist es sandig. Bis 3 Uhr morgens rüttelt und rupft der Wind am Zelt, aber meine improvisierte Abspannung hält.






Guten Morgen! Nur noch 32km bis El Sosneado, und der Wind weht von Norden. 

Noch ein Flusstal muss ich durchqueren, vorbei geht es an einer ehemaligen Mine und einigen Förderpumpen. Ein Pick-Up überholt mich und der Fahrer fragt ob ich mitfahren will. Dankend verneine ich, was ich auf den steinigen holprigen letzten 10km der Strecke schon fast bereue. Es ist verdammt mühsam mit meinem schwer beladenen Rad, und der spannende Teil der Strecke liegt auch hinter mir. 




Aber endlich kommt der Ort in Sicht. Ich halte an der Tankstelle, zische erstmal eine kalte Limonade und nutze den Handy-Empfang der mir eigentlich die letzten 3 Tage nicht gefehlt hat. Im Ort miete ich mich in ein Appartment und dusche ausgiebig, wasche die verschwitzten dreckigen Klamotten aus und gehe ein Sandwich essen.

Am nächsten Tag lasse ich mich auf der 40 vom zeitweisen Rückenwind in Windeseile nach Malargüe pusten. Überall am Wegesrand wächst wilder Rucola, ich decke mich zum Abendessen ein. In einem Appartment eingemietet mache ich einen Pausentag. Es gibt eine Waschmaschine und eine kleine Küche und die Stadt ist schön grün. Morgen, am 22. Oktober, ist Wahl in Argentinien. Mal sehen was das wird. Prognosen nach wird sich das Geld nochmal deutlich entwerten im Anschluss an die Wahl.